Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

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Pflegeausbildungsreform – Aus 3 mach 1

Aus 3 mach 1 – so lautet die Formel zur Reform der Pflegeausbildung. Die bisherigen Pflegeberufe, Kinderkranken-, Kranken- und Altenpflege, sollen zu einer einheitlichen Pflegeausbildung zusammengelegt werden. Herauskommen sollen die Pflegefachfrau oder der Pflegefachmann, die nach den Vorstellungen der Bundesregierung überall einsetzbar sind, wo Pflege gebraucht wird. Wir haben große Zweifel an dem vorliegenden Gesetzesentwurf.

16.02.2016

Attraktivitätssteigerung - eine Rechnung ohne den Wirt

Aus drei Berufen einen zu machen –  diese Rechnung geht nicht auf. Bereits die Vorarbeit zum Gesetz – dem Referentenentwurf zum Pflegeberufsreformgesetz zeigt, dass die ganze Reform noch gar nicht richtig durchdacht wurde. Vieles bleibt im Unklaren. Vieles ist reine Spekulation. Zum Beispiel wird behauptet, dass der Pflegeberuf durch die Generalisierung der bisherigen drei Ausbildungszweige attraktiver werden wird und mehr Menschen in diese Ausbildung gehen. Das wiederholen Gesundheitsminister Gröhe und seine Amtskollegin im Familienministerium Schwesig mantraartig. Doch diese Behauptung wird auch durch Wiederholung nicht wahrer. Allein aufgrund einer Vermutung ein Experiment in derartigem Ausmaß zu starten, ist fahrlässig. Was einen Beruf attraktiv macht, sind die Arbeits- und sicherlich auch die Ausbildungsbedingungen. Daran muss gearbeitet werden – auch mit den Ausbildungsträgern. Wenn eine Auszubildende über Facebook schreibt, dass sie allein gelassen wird auf der Station, dann sagt dies mehr über den Pflegeberuf aus als die Frage, ob sie auch ins Krankenhaus wechseln kann. Schon heute arbeiten Krankenschwestern im Pflegeheim, im ambulanten Dienst. Dagegen findet man kaum Altenpfleger im Krankenhaus – warum eigentlich nicht? Auch dort würden sie gebraucht. Anscheinend sind sie dort gar nicht gefragt.

Qualität geht vor Quantität – Klares Nein, zum Kompetenzverlust

Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet. Wie die Frage: Kommt es zu einem Wissensverlust in der Ausbildung? Kann man realistischer Weise erwarten, dass bei der Zusammenführung von drei Ausbildungen alle Lehrinhalte bleiben erhalten? Was wirklich in der Ausbildung vermittelt wird, regelt die Verordnung zum Gesetz. Auch hierzu gibt es nur Mutmaßung – jeder hofft, dass kein Ausbildungsinhalt gestrichen wird. Aber was dann schlussendlich kommt, weiß keiner. Wissen zukünftige Auszubildende damit wirklich worauf sie sich einlassen?

Wie kann die Vertiefung für das spätere Arbeitsfeld erfolgen? Kein Mensch wird behaupten, mit dem Ende der Ausbildung wäre man dann sofort einsatzfähig. In der Ausbildung wird ein breites Wissen vermittelt, aber die Praxis verlangt immer mehr nach Spezialisten. Mit der jetzigen Pflegeausbildungsreform geht man den umgekehrten Weg – raus aus der Spezialisierung, rein ins Breitbandwissen. Was nun? Es muss also im Anschluss an die drei-jährige Pflegeausbildung eine dringend notwendige Spezialisierung erfolgen.

Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt? – Kosten unklar

Wer soll das bezahlen? Die Frage der Kostenübernahme der notwendigen Fort- und Weiterbildung nach der Ausbildung spart die Bundesregierung gleich ganz aus. Bereits die Gesamtkosten für die gesamte Reform sind nicht seriös gerechnet. So beruht ein Gutachten zur Finanzierung der Pflegeberufsreform auf veralteten Zahlen. Die Mehrkosten für die Reform dürften also noch erheblich zu Buche schlagen und auch bei den Ländern, Kommunen und nicht zuletzt bei dem Pflegeheimbewohner landen. Und mehr zahlen für geringere Qualität, das machen wir nicht mit.

Chaos in Ausbildung vorprogrammiert

Wie viele werden sich dann noch für den Beruf interessieren? Um Pflegefachfrau oder -mann zu werden, müssen sieben verschiedene Praktika innerhalb von drei Jahren absolviert werden. Der Auszubildende muss alle Tätigkeitsfelder einmal kennengelernt haben. Das stellt die Ausbildungsbetriebe vor ein Dilemma. Welcher Ausbildungsbetrieb soll überhaupt noch Azubis aufnehmen, wenn diese selten im Unternehmen sind? Es wird kaum noch eine Bindung an den Ausbildungsbetrieb geben und auch keine Identifikation. Ganz zu schweigen von den begrenzten Ausbildungskapazitäten in der Kinderkrankenpflege. Das heißt im Klartext: Es ist unmöglich, allen Azubis eines Ausbildungsganges ein Praktikum in der Kinderkrankenpflege zu vermitteln. Alternative Einsatzorte bspw. in Kindertagesstätten oder Jugendämtern kommen unserer Meinung nach nicht in Frage. Denn Pflegeausbildung muss Pflege beinhalten. Zudem geht in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, in denen derzeit den Betrieben 100 Prozent der Ausbildungskosten erstattet werden, die Finanzierung verloren. Künftig sollen die Betriebe einen prozentualen Anteil der Ausbildungskosten zahlen. Damit gefährdet man die Erfolge in diesen Ländern.

Gesetzgebungsverfahren aussetzen

Kurzum, uns überzeugen die Argumente der Bundesregierung noch lange nicht. Deshalb fordern wir ein Moratorium, bis die wichtigsten Fragen geklärt sind. Wir benötigen eine Risikoabschätzung, ob wirklich die Anzahl der Azubis steigt. Wir müssen wissen, wie viel die Reform kostet und wer welchen Anteil tragen muss. Wir brauchen die Vorlage der Ausbildungsinhalte sofort. Erst dann kann jeder beurteilen, ob die Kinderkrankenpflege unter den Tisch fällt oder ob die so wichtige Biografiearbeit in der Altenpflege sowie Validation noch gelehrt werden kann. Was wir nicht brauchen, ist das TTIP der Pflege.

Auch und vor allem die Patientinnen und Patienten, die Angehörigen und Pflegebedürftigen oder Sterbenden müssen sich auf eine qualitative gute Pflege verlassen. Es geht nicht nur um möglichst viele Hände, sondern um möglichst kundige Hände in der Pflege. 

Anschreiben zum Moratorium download

Moratorium download

 

Tags: Pressearchiv, Alter und Pflege, Pflegeausbildung
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