Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Stellungnahme zu den Artikeln zur Organspende von Harald Werder

Ausgabe der Frankenpost vom 6. Juli 2011

09.07.2011

Vielen Dank für die Artikel zur Organspende („Die letzte gute Tat“ und „Angehörige sind überfordert“) in der Frankenpost vom 6. Juli 2011. Ich begrüße es sehr, dass Sie diese wichtige und schwierige Debatte aufgreifen, die auch den Deutschen Bundestag in den nächsten Monaten beschäftigen wird.

Wenn jährlich ca. 12.000 schwerkranke Menschen dringend auf ein Spenderorgan warten, dann ist dies ein schwerwiegendes Problem, vor dem die Politik sich nicht wegducken kann. Es gilt daher, sich sehr differenziert mit dieser heiklen Problematik zu befassen – aber auch, sich vor populistischen Lösungen zu hüten. Ich habe deshalb die Forderungen nach einer Widerspruchslösung stets zurückgewiesen. Danach sollen alle BürgerInnen, die zu Lebzeiten einer Organspende nicht aktiv widersprochen haben, automatisch als SpenderIn gelten. Ich halte das für einen schwerwiegenden Eingriff in das persönliche Selbstbestimmungsrecht. Die Zustimmung bzw. Ablehnung einer Organspende muss stets freiwillig bleiben, nicht zuletzt um das Vertrauen in die Organspende hierzulande zu wahren und zu fördern. Deshalb ist es essentiell, dass die Betroffenen bzw. ihre Angehörigen einer Organspende aktiv zustimmen.

Eklatante Mängel der Organspende hierzulande liegen auf der organisatorischen und strukturellen Ebene. Es ist nicht so, dass die zu geringe Zahl der Spender allein auf die fehlende Bereitschaft in der Bevölkerung zurückzuführen ist. Viele Organspenden scheitern schon im Vorfeld, weil sie von den Kliniken – entgegen ihrer rechtlichen Meldepflicht – häufig gar nicht gemeldet werden. Spanien erreicht seine weltweit höchsten Spenderzahlen durch eine sehr gute Koordinierung und Ausstattung des Systems sowie über die Bereitstellung von Transplantationsbeauftragten. Außerdem kommt dort der höchstprofessionellen Betreuung der Angehörigen eine große Bedeutung zu, wie sie auch Andreas Reif zu Recht betont. Ganz gleichgültig, ob die Zustimmungs-, Entscheidungs- oder Widerspruchslösung gilt, an einer einfühlsamen und professionellen Betreuung und Aufklärung der Angehörigen führt kein Weg vorbei. Die Widerspruchslösung, die in Spanien zwar rechtlich gilt, wird in der Praxis überhaupt nicht angewendet. Daher kommen Reformen auf der organisatorisch-strukturellen Ebene eine sehr hohe Bedeutung zu. Ein Gesetzentwurf, den die Bundesregierung Anfang Juni vorgelegt hat, enthält dazu durchaus sinnvolle Ansätze. So ist etwa die geplante verpflichtende Bestellung von Transplantationsbeauftragten in Kliniken, die an der Organspende teilnehmen, ein grundsätzlich richtiger Schritt.

Volker Kauder und Frank-Walter Steinmeier wollen nun mit ihrem Modell einer sog. Entscheidungslösung erreichen, dass sich alle BürgerInnen schon vor ihrem Tod zur Organspende erklären, u.a. um Angehörige von der Last der Entscheidung zu befreien. Daher sollen alle BürgerInnen mindestens einmal im Leben mit dieser Frage konfrontiert werden, etwa beim Besuch einer Meldebehörde oder Führerscheinstelle o.ä.

Das Problem ist, dass die praktische Umsetzung und viele andere wichtige Details noch völlig unklar sind. Sollen die BürgerInnen zu einer Entscheidung über die Organspende verpflichtet werden, oder soll diese freiwillig bleiben? Wo und bei welcher Gelegenheit sollen die BürgerInnen diese Entscheidung treffen? Wer fordert sie zu dieser Entscheidung auf? Wo und wie soll diese Entscheidung dokumentiert werden? Was geschieht, wenn eine Bürgerin/ ein Bürger diese Entscheidung wieder ändern will?

Bei der Erklärung für oder gegen eine Organspende handelt es sich um eine höchstpersönliche und äußerst sensible Frage. Daher muss auch nur der Anschein staatlich verordneten Drucks auf diese Entscheidung in jedem Falle vermieden werden. Deshalb sind die von mir genannten Fragen keinesfalls Erbsenzählerei. So wurde bei einer öffentlichen Anhörung zu diesem Thema im Gesundheitsausschuss am 29. Juni auch deutlich, dass viele ExpertInnen Meldebehörden und Führerscheinstellen nicht für den richtigen Ort halten, um mit dem Thema Organspende konfrontiert zu werden. Die Mehrheit der Sachverständigen plädierte zudem dafür, die Freiwilligkeit der Entscheidung in jedem Falle zu wahren.

Es hat sich bei ethischen Themen, wie z.B. der Organspende, der Stammzellforschung oder aktuell der Präimplantationsdiagnostik (PID), bewährt, dass sich der Deutsche Bundestag für solche Debatten viel Zeit für eine sehr sorgfältige und faire Abwägung genommen hat. Ich betone das, weil Herr Kauder und Herr Steinmeier, deren Engagement in dieser Sache zweifellos ehrenwert ist, bisweilen den Eindruck erwecken, als stehe der Beschluss für die Entscheidungslösung im Grunde schon fest. Diese Art des Umgangs geziemt sich in solch heiklen Fragen nicht. Ich persönlich will gar nicht ausschließen, dass mich am Ende vielleicht die Entscheidungslösung sogar überzeugen mag. Doch ich verlange eine sorgfältige, offene und faire Debatte darüber, in der nach der denkbar besten Lösung gesucht wird.

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